Body Positivity – oder: das gefährliche Bild vom dicken Ich

Es gibt ein paar Begriffe, die, wenn sie mir zu Ohren kommen, zu einem vorübergehenden Anstieg meines Blutdrucks führen. Dazu gehört auch der scheinbare Kampfbegriff aller krankhaft Übergewichtigen: Body Positivity! Ah, ich höre gerade den Aufschrei bei einigen meiner Leser. Aber immer langsam…

Sei selbstbewusst und stolz auf Dich!

Ein gesundes Selbstbild von sich und dem eigenen Körper ist durchaus erstrebenswert!

In Zeiten komplexer Bildbearbeitung und künstlicher Intelligenz sollte uns allen klar sein, dass die schöne Welt der Werbung eben genau das ist – ein synthetisch erzeugtes Idealbild, wie man gerne sein, aussehen und sich darstellen sollte. Und wissen Sie was? Genau das ist Sinn der Sache!

Da futtern glückliche, gutaussehende, schlanke, junge Menschen einen Schokoriegel nach dem anderen und makellose Models streichen sich lächelnder- wie unnötigerweise Tonnen von Antifalten-Creme ins Gesicht.

Würden Sie die angepriesenen Produkte kaufen, wenn stattdessen hässliche, übergewichtige und unsympathische Individueen als Werbefiguren auftreten würden? Nein? Eben.

Aber ich kann schon verstehen, wenn die ein oder andere Person ob des eigenen Spiegelbilds dabei ins Grübeln gerät und sich wünscht, mehr dem hübschen Model auf dem Plakat zu ähneln, als Oma’s selbstgemachtem Hefekloß. Zum Frustabbau gibt’s erstmal ’ne Tafel Schokolade…

Wenn im Frühjahr die Hüllen fallen…

Gestern war es wieder so weit – die Temperaturen steigen und viele Menschen nehmen diesen erfreulichen Fakt zum Anlass, in der Öffentlichkeit einen Teil ihrer Kleidung abzulegen. Bei manchen fragte ich mich aber »Musste das jetzt wirklich sein?!«

Genau das wollte ich auch von meiner Begleitung wissen, mit der ich durch die heimische Shopping-Mall schlenderte. Schon hörte ich mit erhobenem Zeigefinger in der Stimme eben jenes Wort:

Body Positivity! Man müsse selbstbewusst zu seinem Körper stehen und alle anderen hätten das gefälligst zu akzeptieren. Niemand dürfe kritisiert werden und überhaupt seien Schönheitsideale ja unrealistisch und diskriminierend!

Um keine sinnlose Diskussion zu beginnen, verzichtete ich auf eine Bemerkung über das vor einer Viertelstunde gekaufte Haarfärbemittel (die Packung versprach „perfekte Grauhaarabdeckung“)… 😉

Okay, okay. Im Kern stimme ich dem natürlich zu. Aber mal unter uns Gutaussehenden:

Jeder findet doch an sich irgendeinen kleinen Makel, den man gerne loswerden würde. Dafür braucht sich niemand schämen! Und wer von ein paar Idioten allein wegen etwaiger körperlicher Unzulänglichkeiten ausgegrenzt wird, sollte auf deren Meinung nichts geben. Kopf hoch und selbstbewusst los!

Body Positivity als Ausrede für „sich-gehen-lassen“

Ich finde es nur im höchsten Maße bedenklich, wenn sich Personen mit starkem Übergewicht der Body-Positivity-Bewegung hingeben und glauben, an ihrer Krankheit nichts ändern zu müssen. Vermutlich bis zum ersten Herzinfarkt oder einer anderen potentiell tödlichen Komplikation.

Nein, es ist keine „liebenswerte Eigenheit“ oder gar attraktiv, bei einer Körpergröße von einem Meter fünfundsechzig über 100 Kilo auf die Waage zu bringen.

Nein, ein Hintern so breit, dass man darauf Kinofilme vorführen kann, turnt definitiv nur wenige Männer an und ist kein Attribut der „weiblichen Form“.

Nein, auch mit den Euphorismen „Genussgröße“, „Schlemmergröße“ oder „Plus Size“ kann man Kleidergrößen jenseits XL nicht schönreden.

Body Positivity wird in meinen Augen dazu missbraucht, einem ungesunden Lebensstil den Anstrich gesellschaftlicher Normalität zu verleihen und die eigene Körper(über)fülle zu verharmlosen.

Schönheitsideale mögen Konstrukte unserer Gesellschaft sein. Aber die Definitionen von „Normalgewicht“ und „Übergewicht“ basieren auf medizinisch fundierten Fakten.

Übergewicht ist eine ernste Krankheit!

Adipositas (früher sagte man schlicht „Fettleibigkeit“ dazu) ist eine schwere, chronisch fortschreitende Erkrankung! Je nach Statistik leiden zwischen einem Fünftel bis sogar einem Viertel aller Deutschen darunter – mit langfristig negativen Auswirkungen auf die eigene Gesundheit.

Aber Übergewicht stellt in den meisten Fällen kein unabwendbares Schicksal dar und liegt nicht in den Genen. Es ist simple Mathematik: Betroffene nehmen langfristig täglich mehr Kalorien zu sich, als sie im gleichen Zeitraum verbrauchen.

Um dieses Problem zu lösen, braucht es keinen Fitness-Guru, keine Diätsensation und keine Abnehmspritze – nur einen Taschenrechner und etwas Selbstbeherrschung. Auf jedem Lebensmittel finden sich nämlich rückseitig passende Nährwertangaben zur Kontrolle.

Die empfohlene Kalorienzufuhr für einen erwachsenen Menschen mit normalem Lebensstil beträgt übrigens 2.000 kcal (oder umgerechnet 8.368 kJ). Nicht mehr, nicht weniger.

Wie auch immer. So lange man das eigene Übergewicht mit „Body Positivity“ schönreden kann und von anderen auch noch Bestätigung erfährt, dürften im Sommer weiterhin bodypositiv eingestellte bauch- und beinfrei-Träger (und -Trägerinnen) das Stadtbild verschandeln.


Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: April 2024