Von Zeit zu Zeit fühlen sich vermeintliche „Digital-Experten“ dazu ermutigt, eine Klarnamenpflicht für alle Nutzer des Internet im Allgemein sowie von sozialen Medien im Speziellen zu fordern. Ich kann es nicht mehr hören!
Erst vor wenigen Tagen geisterte wieder eine solche Forderung durch die Presse. Bezeichnenderweise von einem deutschen Innenpolitiker einer konservativ-religiösen Partei.
Als Begründung wurden die üblichen fadenscheinigen Allgemeinplätze bezüglich Verhinderung von Fake News, Desinformation, Hetze und Mobbing vorgebracht sowie die Stärkung der inneren Sicherheit und Bekämpfung des Terrorismus betont. Die an dieser Stelle ebenfalls gern genannten raubkopie-ermordenden Kinderschänder fehlten ausnahmsweise (Ironie).
Klarnamenpflicht = Überwachung = weniger Meinungsfreiheit
Ich weiß gar nicht so recht, an welcher Stelle ich als erstes ansetzen soll, um diese stupide Forderung eines reaktionären Internet-Ausdruckers in das aufzulösen, was sie ist – heiße Luft (Sie entschuldigen meine Wortwahl)!
Die von mir gewählte Überschrift „Klarnamenpflicht = Überwachung = weniger Meinungsfreiheit“ trifft den Kern aber ganz gut.
Das Aufzählen aller Argumente gegen eine Forderung zur Klarnamenpflicht im Netz würde eine Abhandlung von mehreren Dutzend Seiten füllen. Ich beschränke mich daher stichpunktartig auf einige Punkte, die mir als erstes durch den Kopf gingen – und die auch IT-Laien nachvollziehen können.
Technische und rechtliche Umsetzung
Da wäre zum einen die Frage nach der Realisierung…
Sollte man „nur“ marktbeherrschende soziale Medien und größere öffentliche Diskussionsforen zwingen, ihre Nutzer beispielsweise mithilfe eines öffentlichen Ausweisdokuments zu erfassen (z.B. per Identverfahren)? Das wäre zugegebenermaßen aufwändig und kostenintensiv.
Der Nachteil: Im nicht-europäischen Ausland angesiedelte Dienste könnte man so nicht treffen. Wer wirklich Fake News verbreiten oder kriminellen Aktivitäten frönen möchte, dürfte ziemlich schnell entsprechende Plattformen außerhalb unserer Jurisdiktion finden.
Also lassen wir doch gleich den feuchten Traum mancher Politiker wahr werden:
Eine zentrale, staatlich kontrollierte Cloud mit universell – und natürlich – zwangsweise zu nutzenden Zugangsdaten für alle Internet-basierenden Anwendungen sowie Authentisierung via Online-Ausweis (elektronischer Personalausweis).
Vielleicht könnte man diese sogar mit der „persönlichen Identifikationsnummer“ (TIN) verknüpfen, welche von den Finanzämtern vergeben wird. Ach, und die elektronische Patientenakte kommt ebenfalls dazu. Ist ja ein Aufwasch. Wenn schon eine personenbezogene Datensammlung und -auswertung, dann bitte gleich so umfassend wie möglich!
Voilà, eine Dystopie in Sachen Privatsphäre und gläserner Bürger ist geboren!
So eine zentralisierte Speicherung von Zugangsdaten böte „Ermittlern“ und „Akteuren“ aller Art auch die Möglichkeit, mal eben einen unkomplizierten Blick auf die Netz-Aktivitäten der Bürger zu werfen. Und rückgratlose Betreiber sozialer Plattformen würden – nach ein paar PR-inszenierten Krokodilstränen – wohl sogar bereitwillig mitziehen, denn sie sparen zum einen den Aufwand der Nutzerregistrierung und könnten selbst zum anderen ihre eigenen erhobenen Daten als absolut authentisch vermarkten.
Tauchen wir tiefer in die Materie ein, offenbart sich glücklicherweise schnell die rechtliche Unmöglichkeit eines solchen Vorhabens. Es sei denn, wir werfen das Grundgesetz über Bord und legen uns eine „große Firewall“ zu, wie es die Diktaturen in China, Russland und Nordkorea bereits tun.
Ich schreibe hier übrigens bewusst von „rechtlicher Unmöglichkeit“ – aus technischer Sicht wäre die Realisierung von alldem (und noch einiges mehr) kein Problem.
Desinformation, Beleidigung, Hetze – wer definiert das?
Okay. Gehen wir davon aus, das Problem der Zwangsregistrierung gelöst und einen Weg gefunden zu haben, die Berge an Daten in akzeptabler Geschwindigkeit auswerten zu können. Vermutlich irgendwie mit künstlicher Intelligenz oder mittels menschlicher Moderatoren.
Aber nach was suchen wir eigentlich? Wer definiert, wann eine Beleidigung strafrechtliche Relevanz besitzt, was gerade noch als freie Meinungsäußerung durchgeht oder bereits Hetze ist? Wo endet „partielle Information“ und ab wann beginnt Desinformation?
In verbindliche Gesetzestexte lassen sich diese komplexen Konstrukte nur schwer gießen. Der Unschärfe-Faktor wäre hoch, da eine werteneutrale Definition kaum möglich ist.
Also bliebe den staatlich autorisierten Zensurbüros ein enorm großer Ermessensspielraum. Zensoren, die willfährig entscheiden würden und die noch dazu dem Wohlwollen der jeweiligen Regierung unterliegen. Ein Schelm, wer hier nicht an Beeinflussung denkt. Redefreiheit ade!
Jeder hat etwas zu verbergen!
Wenn nichts mehr hilft und sich die Verfechter restriktiver Zensurmaßnahmen argumentativ in die Ecke gedrängt fühlen, höre ich immer den folgenden Satz:
Wer nichts zu verbergen hat, braucht sich nicht zu fürchten!
Auf diese Plattitüde antworte ich gerne kurz und knapp:
Jeder hat etwas zu verbergen!
Grundsätzlich geht es nämlich niemanden etwas an, was ich im Internet mache, welche Websites ich besuche oder Dienste ich nutze. Ich brauche keine staatliche Aufsicht, die mir bei jeder Online-Aktivität über die Schulter guckt.
Welche Möglichkeiten haben in dieser gläsernen digitalen Welt noch Whistleblower oder politisch verfolgte Personen, die sich online Gehör verschaffen wollen? Das geht nun einmal in den allermeisten Fällen nur anonym.
Und hier müssen wir abwägen: Möchten wir uns in einem vermeintlichen Gefühl der Sicherheit wiegen oder das Internet zu einem Instrument der Meinungsfreiheit machen, das auch Unterdrückten eine Stimme verleiht?
Bedenkt man, dass es eine „absolute Sicherheit“ per Definition nicht gibt, lautet die Antwort:
Die Freiheitsrechte des Einzelnen mit dem Recht auf Anonymität im Netz überwiegen!
Die Lösung (mal wieder) – Medienkompetenz!
Keine Frage, Fake News und politisch rechte Hetze sind ein Problem der heutigen Zeit.
Die Schaffung eines gläsernen Bürgers würde zu gesellschaftlichen Kollateralschäden mit weitreichenden negativen Konsequenzen für unsere Gesellschaft führen – auf politischer, wirtschaftlicher und persönlicher Ebene. Und das Problem nicht lösen.
Was wir vielmehr brauchen, ist die Förderung digitaler Medienkompetenz – nicht nur, aber vor allem im Schulunterricht. Doch hier fehlt es aufgrund des maroden deutschen Schulsystems an qualifiziertem Personal sowie am Umsetzungswillen.
Menschen müssen lernen, vermeintliche Fakten zu hinterfragen und Quellen auf ihre Glaubwürdigkeit hin zu prüfen. Irgendwelche Zensurbehörden oder staatliche Überwachungsmaßnahmen sind hier absolut fehl am Platze.
Mein Fazit: Wer eine Klarnamenpflicht im Internet als Lösung aller Probleme sieht, sollte seine Kompetenzen überdenken. Hinter derart kurz gedachten Forderungen steckt ausschließlich populistisches Stammtischgepolter von denjenigen, für die das Internet immer Neuland bleiben wird.
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: Dezember 2024