In der deutschen Sprache stehen wir in Sachen Anrede vor der Wahl: Du oder Sie – mit anderen Worten: darf es plump vertraulich sein oder lieber altmodisch stocksteif? Dabei gibt es doch einen angemessenen Mittelweg!
Seit dem Aufkommen sozialer Medien irgendwann in den 2000er Jahren hielt eine ganz bestimmte (Un-)Sitte Einzug in unsere Kommunikation: Das ungefragte Duzen!
Trinken wir jetzt alle Bruderschaft?!
Ich war mit diesem Aspekt anfangs wirklich überfordert! Wildfremde Personen hatten plötzlich das Bedürfnis, auf einer – jedenfalls aus meiner Sicht – intimen Ebene zu konversieren und gaben sich erstaunt/verwundert/entsetzt über meine Weigerung, mich auf das gleiche Niveau zu begeben.
Für mich war und ist das „Du“ nur engen Freunden sowie – teils widerwillig – der Familie vorbehalten. Oder eben Personen, die mir auf irgendeine Weise (auf Anhieb oder später) sympathisch sind oder die jeweiligen Umstände ein „Du“ nahelegen. Manches ergibt sich eben.
Schon als Jugendlicher hielt ich es für ziemlich respektlos, von anderen Personen, besonders älteren Menschen, geduzt zu werden. Die aber selbst ein „Sie“ als Antwort erwarteten. Ist man als Kind weniger wert? Dann doch lieber gleich „Sie“ von beiden Seiten!
Vielleicht klingt meine Meinung jetzt furchtbar konservativ, irgendwie aus der Zeit gefallen, um nicht zu sagen komisch. Aber nachwievor führe ich die besten Beziehungen mit Personen, die mich nicht duzen. Während ich allzu schnelle Du-Freundschaften schon öfters bereut habe.
Ich weiß, ich weiß. Mit dieser Denkweise stehe ich ziemlich allein da. Inzwischen wird man ja sogar von vielen Unternehmen mit einem freundschaftlichen Du beglückt – ob man will oder nicht:
So richtig fiel mir das erstmals bei einem allseits bekannten schwedischen Möbelhaus auf, das mit penetranter „Du“-Werbung glänzt. Glücklicherweise drängte mir in den Filialen selbst noch kein Mitarbeiter das „Du“ auf. Es wäre für den Betroffenen auch ein denkwürdiger Augenblick gewesen…
Anders verlief ein Support-Kontakt mit meinem Internet-Anbieter: »Hallo Tobias, was kann ich für Dich tun?« »Als erstes, mich mit „Sie“ ansprechen und dann bei einem Problem behilflich sein…« lautete meine Antwort, die mein telefonisches Gegenüber kurz verstummen ließ.
Und dann war da noch der Elektriker, der einen Kostenvoranschlag erstellen sollte: Seine Begrüßung bestand aus einem Schulterklopfen samt »Na, wo liegt denn Dein Problem?«. Allein meiner Höflichkeit war es zu verdanken, dass mein neuer Kumpel keinen blitzartigen Stromschlag erlitt – der Auftrag ging natürlich an jemand anderen.
Welche Anrede für eine künstliche Intelligenz?
Während also meine menschlichen Kommunikationspartner nach einem kurzen Hinweis innerlich kopfschüttelnd zur förmlichen Anrede wechseln, konnte ich eine Spezies bislang noch nicht davon überzeugen: die künstlichen Intelligenzen der großen Suchmaschinen!
Diese dummen technischen Dinger verweigern sich dem „Sie“ mit einer beinahe bewundernswerten Hartnäckigkeit. Zwar wurde mir bereits öfters versprochen, meinen Wunsch zu berücksichtigen – nur um ihn dann schon bei der nächsten Antwort wieder zu ignorieren.
Und das soll intelligent sein?!
Ahoj! Wie wäre es mit der hanseatischen Anrede?
Fassen wir das Dilemma einmal zusammen: Die förmliche Anrede wirkt auf einige Menschen altbacken, die informelle Anrede empfinden andere wiederum als aufdringlich. Was also tun?
Ich bin ein großer Fan des „hanseatischen Sie“ – also „Sie“ mit Vornamen!
Zum einen drückt das dem Gegenüber Respekt und Wertschätzung aus. Zum anderen wirkt es trotzdem persönlich und (einigermaßen) nahbar und ist daher meiner Meinung nach der perfekte Einstieg beim Kennenlernen.
Leider scheint das in weiten Teilen Deutschlands relativ unbekannt zu sein. Eigentlich schade.
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: Dezember 2024