Kunst darf keine Grenzen kennen! Auch, wenn es weh tut…
Es gibt keine andere Antwort als ein deutliches »Ja!« auf diese Frage. Kunstfreiheit ist gleichbedeutend mit Meinungsfreiheit. Beides muss unangreifbar sein. Ansonsten würden wir Zensur und ideologischer Willkür Tür und Tor öffnen.
Mit einigem Erstaunen verfolge ich die reflexartige Empörung über das Zeigen antisemitisch interpretierbarer Kunstwerke im Rahmen der Weltkunstschau „Documenta 15“ (18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel).
Oder nehmen wir als weiteres Beispiel die hitzige Diskussion um den Liedtext des Musikstücks „Layla“, das wenig mehr ist als ein allenfalls mittelmäßiger Partysong zum Mitgrölen nach ausreichend Alkoholkonsum. Verbotsaffine konservative (bzw. „woke“) Kräfte hingegen witterten bösen Sexismus und sahen sogar eine potentielle Jugendgefährdung bei Volksfesten (übrigens im Songtext, offenbar weniger in den meist auf derart einschlägigen Veranstaltungen konsumierten Drogen).
Schnell wird dann gefordert, derartige Werke aus dem Licht der Öffentlichkeit zu verbannen – mit anderen Worten sie zu zensieren. Zensur! Um nichts anderes handelt es sich, trifft man anhand gesellschaftlicher oder kultureller Ausschlusskriterien eine Entscheidung darüber, was als Kunst gezeigt werden darf und was nicht.
Ich stehe auf dem Standpunkt, dass Kunst alles ist und alles darf und bin beileibe damit nicht allein.
Kunst darf provozieren, beleidigen, ängstigen… oder einfach nur schön sein. Ob tiefgründig oder platt, vielschichtig interpretierbar oder eindeutig; niemand hat das Recht, einem Künstler aus ideologischen Gründen die Daseinsberechtigung eines seiner Werke abzusprechen.
Doch genau das geschieht im Augenblick mit all jenen Forderungen nach Zensur, egal in welche Deckmäntel sie sich kleidet. Ja, sogar eine vorübergehende Aussetzung der Documenta wird inzwischen von einigen Politikern aus der zweiten Reihe verlangt und auch „Layla“ fiel einigen lokalen Obrigkeiten schon zum Opfer! Was für ein gefährliches Spiel um ein bisschen Publicity.
Es ist noch nie gut gegangen, wenn eine Gruppe von Menschen sich dazu heraufschwingt, zu entscheiden, was der Allgemeinheit in Sachen Kunst und Kulturgut zugänglich gemacht werden darf. Von in bester Absicht ausgeübter Zensur bis zur ideologischen Diktatur samt Denkverboten ist es nur ein kleiner Schritt.
Die Kunstfreiheit darf wie die Meinungsfreiheit per se keine Grenzen haben. Das gilt umso mehr, sobald eine Plattform wie die Documenta finanzielle staatliche Unterstützung erfährt. Hier gilt meiner Ansicht nach nichts anderes als unbedingte Neutralität seitens der Geldgeber. Und was das erwähnte musikalische Machwerk betrifft, über Geschmack kann man ja (nicht) streiten.
Aber – und das sage ich klar und deutlich – Künstler müssen Kritik an ihren Werken aushalten können. Und zwar jede Art davon. Berechtigte wie (je nach Standpunkt) unberechtigte, leise wie laute. Die Auseinandersetzung zwischen Künstlern und Kritikern gehört für mich als integraler Bestandteil zur Kunst, mag jene auch noch so profan daherkommen.
Wieso also nicht einfach Kunst als Startpunkt für eine intellektuelle Auseinandersetzung verstehen und darüber reden, darüber diskutieren, darüber lachen? Eine offene und vielschichtige Gesellschaft sollte uns genau das nämlich wert sein!
Autor: Tobias Eichner | Datum der Veröffentlichung: Juli 2022